Tagung der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie in Nürnberg
Prof. Dr. Thomas Hillemacher, Psychiatrie-Chefarzt im
Klinikum Nürnberg, befürwortet einen neuen individualisierten Therapieansatz,
der Motive und Lebensumstände der Abhängigen stärker berücksichtigt.
„Alle Süchte wirken ähnlich auf das Gehirn. Sie stimulieren
das Belohnungssystem und geben uns ein kurzes Gefühl der Befriedigung“, erklärt
Prof. Dr. Thomas Hillemacher, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und
Psychotherapie, Universitätsklinik der Paracelsus Medizinischen
Privatuniversität. „Die tieferliegenden Ursachen sind aber immer individuell.“
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Fotos Prof. Dr. Dr. Astrid Müller,
Prof. Dr. Thomas Hillemacher, Prof. Dr. Rainer Thomasius (v.l.)
Quelle: Giulia Iannicelli, Klinikum Nürnberg
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Diesem Umstand will die Tagung der Deutschen Gesellschaft
für Suchtforschung und Suchttherapie stärker berücksichtigen, die heute in
Nürnberg endet. Das Treffen hochkarätiger Suchtexperten aus dem deutschsprachigen
Raum diskutiert neue individualisierte Therapieansätze, die noch stärker an der
Lebenssituation und den Motiven der Betroffenen ansetzen. Denn bislang sind die
etablierten Entzugsprogramme meist wenig personenbezogen und stark am
Gegenstand der Sucht orientiert.
Jugendliche anfällig für Computerspiele mit Kaufanreiz
Weiterhin hoch ist Suchtpotenzial bei Kindern und
Jugendlichen.
Zu den wichtigsten Süchten in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie zählt Prof. Dr. Rainer Thomasius, Präsident der DG Sucht und
Ärztlicher Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und
Jugendalters (DZSKJ) in Hamburg, Alkohol, Cannabis, synthetische
Stimulanzien (u.a. Methamphetamin, Ecstasy), legal erhältliche Stimulanzien
(sogenannte „Kräutermischungen“) und internetbezogene Abhängigkeiten:
„Das jugendliche Gehirn ist noch nicht voll gereift und
dadurch wesentlich anfälliger für die Wirkung des Belohnungssystems.“ Als
durchschnittliches Einstiegsalter für eine Sucht nennt der Hamburger Experte
das 13. bis 14. Lebensjahr.
Eine besonders besorgniserregende Entwicklung ist die
Vermischung verschiedener Verhaltenssüchte, beispielsweise von Internet- und
Glücksspielsucht. Hierzu tragen die in Computerspielen integrierten
Glücksspielelemente, die sogenannten Lootboxen und Mikrotransaktionen, bei. Das
sind Kaufangebote innerhalb eines virtuellen Spiels, die insbesondere bei
Kindern und Jugendlichen die Entwicklung einer Kaufsucht begünstigen.
„Auch hier müssen wir gezielte Versorgungsangebote für die
Betroffenen entwickeln, die sich an der jeweiligen Lebenssituation
orientieren“, fordert Prof. Dr. Dr. Astrid Müller, Leiterin der Arbeitsgruppe
„Substanzungebundene Abhängigkeitserkrankungen“ in der Klinik für Psychosomatik
und Psychotherapie, Medizinische Hochschule Hannover. „Beispielsweise muss ein
introvertierter Jugendlicher mit einer Computerspielsucht anders angesprochen
werden als ein extrovertierter Glücksspiel-Abhängiger.
Die Ursachen für eine Suchterkrankung sind so vielseitig wie
die Abhängigkeiten. Genetische Disposition, biologische Reaktionsmechanismen
und psychosoziale Faktoren spielen eine wesentliche Rolle, wie schnell Alkohol,
Nikotin, Heroin und Medikamente süchtig machen. Neben diesen stoffgebundenen
Abhängigkeiten treten vermehrt sogenannte Verhaltenssüchte auf, wie das
unkontrollierte Surfen im Internet, Glücksspiel, Computerspiele, Kaufsucht oder
das Konsumieren pornografischer Darstellungen.
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