Umfassende Hilfsangebote im Kontinenz- und Beckenbodenzentrum
![]() |
Chefärztin Prof. Dr. Cosima Brucker; Quelle: Rudi Ott |
Genaue Zahlen gibt es nicht, die Dunkelziffer ist hoch.
Bis zu neun Millionen Menschen in Deutschland sollen betroffen sein – im
Schnitt jede dritte Frau, aber auch Männer, Ältere und Jüngere. Trotzdem bleibt
das Thema Inkontinenz für viele ein Tabu. Anlässlich des Internationalen Tags
der Inkontinenz am 30. Juni 2020 warnen Experten des Kontinenz- und Beckenbodenzentrums
im Klinikum Nürnberg vor falscher Scham. Chefärztin Prof. Dr. Cosima Brucker,
Chefarzt Prof. Dr. Sascha Pahernik und Oberarzt Dr. Reimund Walther erklären,
warum Patientinnen und Patienten auch in Zeiten von Corona den Gang zum Facharzt
nicht hinauszögern sollten.
![]() |
Chefarzt Dr. Sascha Pahernik; Quelle: Jasmin Szabo |
Die gute Nachricht vorweg: Inkontinenz ist in vielen Fällen
heilbar – insbesondere dann, wenn die Krankheit früh erkannt und behandelt
wird. Bei 80 Prozent der Frauen, die ins Kontinenz- und Beckenbodenzentrum im
Klinikum Nürnberg kommen, könne Inkontinenz komplett geheilt werden, so Prof.
Dr. Cosima Brucker, Chefärztin der Klinik für Frauenheilkunde. Bei den übrigen
20 Prozent lindere die Behandlung die Symptome deutlich und verbessere die
Lebensqualität. „Wer früh zu uns kommt, hat beste Chancen auf eine vollständige
Heilung ohne aufwändige Verfahren“, sagt Brucker. „Ich freue mich, dass
wir nach der Hochphase der Corona-Pandemie jetzt wieder alle Patientinnen
willkommen heißen dürfen.“
Ein kleiner Eingriff für ein großes Stück Lebensqualität
Brucker leitet gemeinsam mit dem Chefarzt der Klinik für
Urologie, Prof. Dr. Sascha Pahernik, das überregional renommierte Kontinenz-
und Beckenbodenzentrum. Jedes Jahr werden mehr als 3.000 Patientinnen und
Patienten behandelt. Das Leistungsspektrum umfasst die komplette Diagnostik und
Therapie und reicht von der Beckenbodenschule für Männer und Frauen über die
Elektrotherapie und medikamentöse Verfahren bis hin zu minimal-invasiven
Operationen mit einem hochmodernen Roboter. „Viele Inkontinenz-Patienten leiden
im Stillen. Sie ziehen sich zurück, isolieren sich und verlassen mitunter kaum
noch das Haus", sagt Pahernik. Studien zufolge glauben 75 Prozent der
Betroffenen, das Problem verschwinde von allein. Nur wenige sprechen offen über
ihre Inkontinenz. „In diesem Kontext begrüßen wir Aktionen wie den
Internationalen Tag der Inkontinenz sehr", so der Urologie-Chefarzt. „Je
früher die Inkontinenz als Krankheit erkannt wird, desto schneller können wir eine
Therapie einleiten und den Betroffenen dauerhaft helfen."
Rund 800 Operationen am Beckenboden jährlich
Großgeschrieben wird im Klinikum Nürnberg die individuelle
Beratung in der Kontinenz-Sprechstunde. „An erster Stelle steht bei uns eine
genaue Abklärung der Ursachen. Frauen leiden sehr häufig an einer
Belastungsinkontinenz“, betont Brucker. Diese kann die Folge sein von
mehrfachen Geburten, aber auch von Übergewicht oder – und das ist häufig der
Fall – von schwachem Bindegewebe. Bei den betroffenen Frauen sind Beckenboden
und Blasenschließmuskel geschwächt, sodass sie beim Lachen oder Husten den
Harnabgang nicht kontrollieren können. In vielen Fällen kann mit Biofeedback-
und Elektrostimulationsverfahren sowie mit einem gezielten Training in der Beckenbodenschule
geholfen werden. „Wir entscheiden von Fall zu Fall über die entsprechende
Therapie“, so die Chefärztin weiter. Wenn operiert werden muss steht den
Spezialisten im Kontinenz- und Beckenbodenzentrum eine hochmoderne Ausstattung
sowie der OP-Roboter zur Verfügung. „Wir führen im Jahr rund 800 Operationen
zur Korrektur von Senkungen des Beckenbodens und zur Behandlung von Inkontinenz
durch“, so Brucker. „Mir liegt es sehr am Herzen, das Bewusstsein für das Thema
zu schärfen, weil so viele Frauen davon betroffen sind. Mit einem
verhältnismäßig kleinen Eingriff geben wir den Patientinnen ein großes Stück
Lebensqualität und Freude zurück.“
Behandlungsoptionen von Botox bis Blasenschrittmacher
Auch bei den männlichen Patienten steht die Klärung der Ursachen
am Anfang der Behandlung. Anders als Frauen erkranken Männer selten an einer
Belastungsinkontinenz, dafür an der sogenannten Dranginkontinenz. Die
Betroffenen leiden unter einem plötzlichen, nicht zu unterdrückenden Harndrang
und können die Toilette häufig nicht mehr rechtzeitig erreichen.
Dr. med. Reimund Walther, Leitender Oberarzt in der Klinik
für Urologie, erklärt dies mit den anatomischen Unterschieden. „Der
Blasenschließmechanismus ist bei Männern anders aufgebaut als bei Frauen und
deshalb seltener betroffen.“ Verursacher der männlichen Inkontinenz sei
vielfach die Prostata, die sich im Alter durch Wachstum verändere. „Im Ergebnis
geht die Speicherfunktion der Harnblase verloren“, sagt Walther.
Im Kontinenz- und Beckenbodenzentrum wird diesen Patienten
mit konservativen, medikamentösen und operativen Verfahren geholfen. Die
seltenere Belastungsinkontinenz bei Männern wird zum Beispiel mit einer
Harnröhrenschlinge oder einem künstlichen Schließmuskel behandelt. „Bei einer
Dranginkontinenz setzen wir vorwiegend Medikamente ein“, erklärt Walther.
„Operiert wird in der Regel dann, wenn sich die Prostata vergrößert hat.
Außerdem bietet sich die Botox-Methode an. Dabei wird Botox in den Blasenmuskel
gespritzt, um ihn zu glätten. Und bei besonderen Formen der Dranginkontinenz
implantieren wir Blasenschrittmacher.“
Anders als Frauen können Männer in jüngeren Jahren einer
Harninkontinenz nicht vorbeugen. „Bei Männern spielt eine gezielte
Beckenboden-Krankengymnastik nur in der postoperativen Phase eine Rolle",
fasst Walther zusammen. “Vorbeugen ist hier leider ausgeschlossen."
Rundum-Versorgung durch interdisziplinäre Zusammenarbeit
Das Klinikum Nürnberg bietet in seinem Kontinenz- und
Beckenbodenzentrum Beratung, Untersuchungen und Behandlungen für alle Formen
der Stuhlinkontinenz, Blasenentleerungsstörungen und Harninkontinenz an. Durch
die enge Zusammenarbeit der Kliniken für Allgemeinchirurgie, Gynäkologie,
Urologie, Neurologie, Physikalische Medizin und Geriatrie werden alle
Möglichkeiten der Diagnostik und Therapie gewährleistet. Zum Angebot des
Zentrums gehört die Beckenbodenschule für Männer und Frauen. Diese wird
ausschließlich von Fachkräften für Physiotherapie durchgeführt, die über
spezielle Kenntnisse in der Gynäkologie, Urologie und Proktologie verfügen und
die Probleme der Patientinnen und Patienten individuell behandeln können.
Weiterführende Informationen gibt es im Internet unter www.klinikum-nuernberg.de.
Ein ausführliches Video zum Internationalen Tag der Inkontinenz finden Sie auf unserem YouTube Kanal.
Kommentare